Ludus Danielis
 
Daniels betörender Tanz in der Löwengrube
Daniel tanzt in der Löwengrube und bezwingt die hungrigen Tiere mit Hilfe des Propheten Habakuk. Schon im Mittelalter erzählten Mönche im französischen Kloster Beauvais ihren Gläubigen das Gleichnis von Glaubensstärke, In Form eines Sing- und Tanzspiels wollten sie den Schreibunkundigen zwischen Weihnachten und Neujahr biblische Stoffe näherbringen. An die Tradition des Mysterienspiels knüpft Jörg Lensings "Theater der Klänge" an - mit einer farbigen Version von "Daniels Spiel" (Ludus Danielis), die jetzt in der Kreuzherrenkirche uraufgeführt wurde.
Der reine und schöne Prophet Daniel führt als Edel-Gefangener von Belsazer (später von Darius) ein privilegiertes Leben. Doch der jüdische Jüngling, der einen anderen Gott als die Babylonier anbetet, hat Neider am königlichen Hofe. Durch eine Intrige der Hofschranzen läßt Darius ihn schließlich in die berühmte Löwengrube werfen, aus der ihn die Allmacht Jehovas rettet
Inspiriert won Michael Popps Ensemble für frühe Musik "Estampie", die "Ludus Danielis" als CD herausbrachten (jetzt für 30 Mark), schuf Lensing einen aufregenden Fünfteiler, in dem sich indischer Tanz, orientalische Klänge und gregorianische Gesänge kunstvoll vermengen. Gespielt wird auf einer Bühne – dort, wo sonst der Altar steht. Gehüllt in schwelgende Schleier und Samtkostüme (Caterina di Fiore) die geschmeidig stilisierten Tänzer, verkleidet als fahrende Spielleute die anderen.
Letztere kommentieren frech und flinkzüngig die verwobene Handlung zu Beginn schandmäulig zusammengefaßt von einem sich verrenkenden Vorerzähler. Von der Enthüllung des Menetekels, über die Ermordung des alten Königs durch den Perserkönig Darius bis hin zur Rettung Daniels. Wer nicht bibelfest ist hat allerdings Mühe, den engagierten Mimen zu folgen das schnelle Wort verhallt: Es ist schon ein Kreuz mit der kreuzherrlichen Akustik!
Geheimnisvolle Handzeichen und Gesten, die extrem stilisierten Tempeltanz-Folgen, berauschendes Schlagwerk und zirpende Saiteninstrumente -all das ereinnert an großes Welttheater, wie man es von der Ikone Ariane Mnouschkine kennt. Schnittmusterartige Bewegungen bei König und Königin (Kai Bettermann und Jacqueline Fischer): Sie bleiben Schablonen. Lediglich der Held Daniel (exzelent getanzt und psychologisch analysiert von Clemente Fernandez) erhält Konturen: vom schüchternen "Jungmann" zum zarten, glaubenskräftigen Löwenbezwinger.
Für ein einmaliges, wenn auch verwegen kombiniertes Klangerlebnis sorgen nachgebaute Fideln, gotische Harfen, Trommeln und die hervorragenden Sänger des Münchner Estampie-Ensembles, das nur noch bis 8. Januar live dabei ist.

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Michael-Georg Müller
Neue Rhein Zeitung
 
 
Von Gott am Ohr genommen
Es beschäftigte sich schon häufig mit der Rekonstruktion von Theatergeschichte, so in der Aufführung "Die mechanische Bauhausbühne" und "Die barocke Maskenbühne". Dem "Ludus Danielis" (Spiel Daniels) liegt eine Handschrift von 1230 aus dem französischen Kloster Beauvais, notiert in einer gregorianischen Singstimme, zugrunde. Das auf alte Musik spezialisierte Münchner Ensemble "Estampie" reicherte die Partitur zu mehrstimmigem Gesang an und spielt auf alten und exotischen Instrumenten.
Die szenische Form, die Jörg U. Lensing und sein "Theater der Klänge" gefunden haben, verblüfft zunächst: König Belsazar und sein Gefolge ziehen als indische Tänzer in die gotische Kreuzherrenkirche ein. Grell geschminkt farbenprächtig gewandet tanzen sie barfüßig auf dem Bretterpodium, auf dessen Wand Bühnenbildnerin Zarah Ritz-Rahman eine Bildergeschichte in Fresko-Manier gemalt hat.
Kostümbildnerin Caterina de Fiore hat Figuren wie von assyrischen Reliefs in betörende Farben eingekleidet; sie wirken auf den ersten Blick fast zu dekorativ. Wenn dann noch Bauchtänzerinnen um Belsazar herumschwirren, fragt man sich besorgt, ob Lensing etwa in die Löwengrube des Publikumsgeschmacks gestürzt ist.
Doch dann verbinden sich die Formen zu fesselndem Theater, das mit Musik und Tanz, mit Gesang und Mudras die Geschichte zu erzählen vermag.
Die Mudras sind eine Zeichensprache der Hände, mit der zwischen den Akten als mittelalterliche Spielleute gewandet die Darsteller wild gestikulierend das Bühnengeschehen kommentieren und parodieren — aus dem Blickwinkel des Volkes, das den kirchlichen Geschichten eher mißtraut. So erhält das Stück eine augenzwinkernde Dimension. Glänzend auch die Idee, Daniel (brillant: Clemente Fernandez) die Löwen selbst (mit-)spielen zu lassen. Und wenn Habakuk vom Engel am Ohr genommen wird, um Daniel beizustehen, ist das schon die halbe Rettung.

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Eva Pfister
Westdeutsche Zeitung
 
 
Sakrale Verführung
Man stelle sich alte ägyptische Wandzeichnungen und Hieroglyphen war - plötzlich beginnen sie zu atmen, Figuren aus dem alten Babylonien steigen aus Ihren Bildern. Der mächtige König Belsazar beim überreichen Siegesmahl, einer sinnlichen versicherung und Einverleibung seiner unverrückbaren Herrschaft, Plötzlich krümmt er sich entsetzt, als wie von Geisterhand die rätselhaften Schriftzeichen Mens, Tochel, Phares auf der Wand erscheinen, die seinen baldigen Untergang verkünden - die über 2000 Jahre alte Geschichte von Belsazar und von Daniel in der Löwengrube scheint sich erst gerade jetzt zu ereignen. Ohne Sprache, aber vermittelt über exotisch anmutende, überaus faszinierende Gesten, deren präzise Eleganz sich geradezu ins Bewußtsein einschneidet. Und einer höchst fremdartigen, fast puppenstarren, ruckartigen Mimik, die gleichermaßen einschüchternd wie fesselnd wirkt. Begleitet von lateinischen, gregorianischen Mönchsgesängen, schlichten Rezitativen und rhythmischen mittelalterlich- volksliedhaften Stücken: hier wird die Tradition des alttestamentarischen Mysterienspiels des Mittelalters lebendig, das seit der Antike den ersten Versuch markierte, Schauspiel und Musik zu verschmelzen - die Wiedergeburt des Theaters In den Kirchen Europas und so etwas wie die Erfindung der Oper in der mittelalterlichen Welt.
Auf seinen überaus erfolgreichen Forschungsreisen durch die Welt theatralischer, musikalischer und tänzerischer Formen und Traditionen – vom spätbarocken Maskentheater der Commedia dell’Arte über die Bühnenexperimente am Bauhaus des frühen 20. Jahrhunderts bis in die politische Reflexion unserer Gegenwart - ist das Theater der Klänge mit seiner neuen Produktion, dem Ludus Danielis, bei den altbiblischen Spielen des Mittelalters angekommen. Seine Version, die nach über 760 Jahren erstmalig wieder in einer Kirche zur Aufführung gebracht wird, basiert auf einer Handschrift von 1230, verfaßt von Studenten aus dem Kloster von Beauvais in Nordfrankreich.
Die ursprünglich vorwiegend musikalische Schöpfung wird von der Musikern und Sängern des Münchener Ensembles für alte Musik ESTAMPIE mit typischen, rekonstruierten Instrumenten wie Drehleier und Schellenbaum begleitet und erzählt, die Darsteller des Theaters der Klänge agieren mittels einer verblüffenden und hier so noch nie gezeigten symbolischen Mimik- und Gestensprache. Dabei stehen sie, was die schauspielerisch-tänzenische Darstellung betrifft, mit einem Bein in der 2000 Jahre alten indischen Tanzdrama-Formen des Imponierenden Kathakali - große Schau-Spiele, die bis heute zu Ehren der Götter aufgeführt werden, Allerdings sind sie weit davon entfernt, da mit den mühsamen Spagat einer verkrampften Turnübung vorzuführen, eine theoretisch überfrachtete, synthetische Montage. Ebensowenig ist die Inszenierung eine bibeltreue, kirchlich-trockene Rekonstruktion, sonder lebt neben hochartifiziellen Elementen von einer faszinierenden archaischen Kraft, die schon damals das Kirchenspiel auf die Marktplätze und unter das Volk brachte, wo solche Aufführungen oft mehrere Tage dauerten. Vollblutkomödianten und Spielleute mittelalterlicher Manier werden in Zwischenakten sehr weltlich und durchaus derb das Geschehen kommentieren, und nicht zuletzt die prächtigen alten Kostüme, die eindrucksvoll geschminkten Gesichter die Fackeln, Kerzen und Petroleumlichter lassen das Ludus Danielis des Theaters der Klänge zu einem Fest der Sinne werden, Entführung und Verführung weitab von ausgetretenen Theaterpfaden.

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Überblick
 
 
Ein faszinierendes, theatralisches Erlebnis: Als Ritual in fünf Szenen geht das Drama über die Bühne - einem hölzernen Podest nach Art mittelalterlicher Wandertruppen mit Rückprospekt, der den Hergang als Fresko in Einzelbildern wie ein Comic erzählt und die stampfenden Tanzbewegungen der barfüßigen Darsteller wie Kastagnetten den spanischen Flamenco effektvoll unterstreicht.

Welt am Sonntag
 
 
Ein Stück, das überquillt vor prallem Leben
Ins Mittelalter fühlt man sich zurückversetzt. Und so finster scheint's gar nicht gewesen zu sein: "Ludus Danielis", das "Danielsspiel", ein mittelalterliches Mysterienspiel, das das Düsseldorfer "Theater der Klänge" ausgegraben hat, quillt über vor prallem Leben. In der Marktkirche wurde es aufgeführt.
Eine Handschrift aus dem Jahr 1230 des nordfranzösischen Klosters Beauvais haben der Musiker Michael Popp und der Regisseur Jürg U. Lensing ihrem Stück zugrundegelegt. Mit Fiedeln und Drehleier, Handorgel, Laute und anderen mittelalterlichen Saiten-, Zupf- und Schlaginstrumenten untermalt das auf Alte Musik spezialisierte, Münchner Ensemble "Estampie" das schaurig schöne Stück vom Daniel in der Löwengrube, den die gefräßigen Löwen verschonen, weil Schutzengel ihre Hand über ihn halten. Agiert wird auf einem Spielgerüst vor dem Hintergrund eines Danielsfreskos. Kerzenschein beleuchtet die stimmungsvolle Atmosphäre des Kirchenraumes. Ein besonderer Gruß gilt den Freunden alter Musik das hochkarätige Ensemble ist im ganzen Spektrum der mittelalterlichen Musik zuhause. Die magische Schlichtheit gregorianischer Gesänge bringt es ebenso zur Entfaltung wie die mitreißend tänzerische Rhythmik der Instrumentalstücke und «die kunstvollen Razitative. In Düsseldorf, wo das Werk im vergangenen Dezember seine Uraufführung erlebte, waren die Münchner Musiker live dabei. In Essen mußte man sich mit der Konserve begnügen. Trotzdem: Ein pralles Stück Theatergeschichte, ein fast achthundert Jahre altes Werk, das drohte vergessen zu werden, hat man frisch und frei, lebendig und fantasievoll in Szene gesetzt.
Es ist nicht das erste Mal, das erste Mal, daß das Theater der Klänge seinen historischen Spürsinn unter Beweis stellt. Die Truppe die sich aus Schauspielern, Tänzern, Musikern und bildenden Künstlern zusammensetzt, erregt seit 187 mit ungewöhnlichen Projekten Aufmerksamkeit. Unter andere waren es "Das mechanisch Ballett" und "Die mechanische Bauhausbühne"(nach dem Original-Bauhausballett) sowie "Die barocke Maskenbühne" (nach Ideen des Tantz-Schul"-Autors Gregorio Lambranzi, 1716), die historische Vorlagen benutzten. Aber auch in der zeitgenössischen Theatergeschichte kennt man sich aus und nützt alle technischen Neuerungen und Raffinessen, um die Fantasie der Zuschauer zu verführen.

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Dagmar Schenk-Güllich
Neue Ruhr Zeitung
 
 
Tanzspiel ruft alte Geister
Im Jahr 1230 hatten Mönche aus dem Kloster Beauvais’ Nordfrankreich die Geschichte von dem jüdischen Gelehrten Daniel verfaßt. Die Originalschrift erzählt den Weg des Gelehrten (Clemente Fernandez), der den Tod des Königs Belsazar (Francesco Russo) prophezeit und schließlich als Berater Darius’ (Kai Bettermann) sogar die Löwengrube des persischen Hofes überlebt.
Jetzt brachte die Düsseldorfer Schauspielgruppe den "Ludus Danielis" als Kirchenraumspiel auf die Bühne. Die perfekte Kulisse bot die Marktkirche - in Anlehnung an die Geschichte des Theaters. Theater in Europa fand im Mittelalter auch in Gotteshäusern statt. Die musikalische Begleitung übernahm das Ensemble Estampie. Die Münchener sind Spezialisten auf dem Gebiet mittelalterlicher Musikfassungen. Inszeniert von Jörg U. Lensing, faszinierten die Darsteller mit einem Tanzspiel, das in die vorchristliche Welt Babyloniens entführte. In farbenprächtigen, detailgetreuen Kostümen riefen sie alte Geister herbei und ließen das Publikum mal zittern, mal staunen und vor allem an Wunder glauben.
Zurück auf den Boden der Tatsachen holten die Spielleute, die zwischen den einzelnen Akten auftauchten. Auf unbefangene, weltliche Weise erklärten sie die Geschichte, die durch die Pantomime nicht immer nachzuvollziehen war.
Das außergewöhnliche Schauspiel forderte Phantasie und Aufmerksamkeit. So gelang es, sich später in die Figuren hineinzudenken und die Handlung selbst zu interpretieren

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Ellen Lübke
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
 
 
Mysterienspiele
Um rund achthundert Jahre ins gar nicht so finstere, eher lebensfreudige Mittelalter zurückversetzt fühlte man sich bei der Uraufführung des «Ludus Danielis », des Danielsspiels, durch das Düsseldorfer Theater der Klänge. In Zusammenarbeit mit der neunköpfigen Münchner Musikergruppe Estampie, einem geschliffenen Ensemble, das sich auf Alte Musik spezialisiert hat, führte es ein mittelalterliches Mysterienspiel in der Kreuzherrenkirche in Düsseldorf auf. Eine Handschrift aus dem nordfranzösischen Kloster Beauvais aus dem Jahr 1230 lag der musikalischen Bearbeitung von Michael Popp und der Inszenierung von Jörg U. Lensing zugrunde.
Ein Stück abendländischer Musik und Theatergeschichte durfte hier wiederauferstehen - lebendig und prall mit Leben gefüllt, farbenprächtig und schaurigschön, dramatisch und komödiantisch, überquellend von der derben Gebärdensprache und tumben Bewegungsfreudigkeit der Tänzer, von der marktschreierischen und volkstümlichen Erzähllust der Sprecher. Und der Ort, an dem sich das Geschehen abspielte, die frühgotische Hallenkirche, rundete das Gesamtkunstwerk ab. Prachtvolle, opulente Gewänder aus kostbaren und farbenfrohen Materialien, die atmosphärische Dichte der gregorianischen Gesänge, der alten Volks- und Tanzlieder, der instrumentalen, rhythmisch tänzerischen Begleitung und Intermezzi auf Harfen, Fiedeln, Drehleiern, Laute, Portativ (Handorgel) und anderen historischen Saiten- und Schlaginstrumenten fügten sich zeitlich und stilistisch nahtlos in den Kirchenraum ein. Auf einem Spielgerüst vor dem Hintergrund eines Danielsfreskos wurde bei Kerzenschein agiert: Die biblische Geschichte vom Daniel in der Löwengrube, die wie andere biblische Themen im Mittelalter unter der Bezeichnung ordo, ludws, wersus, historia oder miraculum unter Herzenslust vertanzt, gesungen und gespielt wurde, fand eine Inszenierung, die heute sowohl Freunde der Alten Musik wie die des Theaters und Tanzes auf ihre Kosten kommen ließ.
Man nimmt an, daß es Studenten waren, die das Spiel einst verfaßt hatten. Vermutlich soll es jedes Jahr zum Neujahrsfest aufgeführt worden sein. In Anlehnung an den mittelalterlichen Brauch, den Hauptrollen bestimmte Instrumente zuzuordnen, die die Rhythmen für die Tänze lieferten, hat Michael Popp das Werk mit Gespür für Werktreue und Aufführungspraxis bearbeitet. Der gesungene Text wird dabei vom Theater der Klänge in tänzerisch-schauspielerische Form übersetzt. Und weil die Geschichte sich in Babylonien, im Persien um ca. 600 v. Chr. abspielt, hat man sich vom Orient beeinflussen lassen und auch indische Tanzdramaformen miteinfließen lassen. Damit der Stoff aber nicht nur bibeltreu nach des Propheten Daniels Buch zur Aufführung gelangte, ließ man auch Spielleute, echte Vollblutkomödianten, zwischen den Akten auftreten, die die Handlung kommentieren und parodieren - eine Praxis, die im Mittelalter ebenfalls gebräuchlich war.
Es ist nicht das erste Stück, das vom historischen Spürsinn und dem Erfindungsreichtum des seit 1987 bestehenden «Theaters der Klänge », einer Gruppe aus professionellen Musikern, Tänzern, Schauspielern und bildenden Künstlern, zeugt: Schon die Erstlingsproduktion machte Aufsehen, als man «Die mechanische Bauhausbühne», eine Rekonstruktion des «Mechanischen Balletts» von Kurt Schmidt aus dem Jahr 1923 sowie die Erstaufführung einer «Mechanischen Exzentrik» des Künstlers Laszlo Moholy- Nagy nach einem Entwurf aus dem Buch «Die Bühne am Bauhaus» (1924) auf die Beine stellte. «Die barocke Maskenbühne » folgte, ein Werk mit spätbarocken Tanzformen und dem Maskentheater der Commedia dell' Arte, das auf der Grundlage eines Tanz- und Theaterkompendiums von Gregorio Lambranzi aus dem Jahr 1716 entstanden war. 1993 entstand «Figur und Klang im Raum» von Jörg U. Lensing, wobei elektronische Interaktionsmöglichkeiten mittels Mikrophonen, Lichtschranken und Ultraschallsensoren zum Einsatz kamen. Theatercollagen und zeitgenössische Bühnenwerke dienten der Reflexion aktueller Themen auf der Bühne, Kurzum: Erfahrungen vergangener Epochen will man sich zunutze machen, um sie in eine zeitgemäße, originäre Bühnensprache zu übersetzen.

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Dagmar Schenk-Güllich
Ballett International
 
 
König Belsazars vornehmer Gefangener
Das Düsseldorfer Theater der Klänge präsentiert seit 1987: Rekonstruktionen und Neuinszenierungen historischer - Theaterstücke und -formen: von der "Mechanischen Bauhaus-" bis zur "Barocken Masken- Bühne", Die Münchner Gruppe Estampie um Michael Popp und Sigrid Hausen macht alte Musik. Ein "gemeinsames Projekt, das Mysterienspiel "Ludus Danielis" von 1230 (verfaßt von Studenten des Klosters von Beauvais) erwies sich so- eben als eine der besten "Id(e)en des März" (Münchner Prinzregententheater). Auf dem heutigen Stand von technisch überzüchtetem epigonalem (Tanz-)Theater war diese schlichte Ur-Oper (Regie: Jörg U. Lensing) eine Wohltat.
Estampie seitlich auf der Bühne, alle sieben zugleich Orchester und Chor/Solisten für den gregorianischen Gesang. Die Tänzer-Darsteller auf einem erhöhten Podest: Belsazar, und mit körper-mächtig sein Babylon. Schön wird der junge jüdische Prophet Daniel, vornehmer Gefangener an seinem Hof, hereingeführt. Der hübsche Knabe (Clemente Fernandez: wie von einem ägyptischen Relief) entziffert nun das Menetekel mit anmutiger Gebärdensprache: "Gezählt, gewogen, zu leicht befunden und verteilt", während dazu auch der Daniel-Text kirchenhell erklingt (Phänomen Tobias Schlierf: Countertenor und Alt). Richtig prophezeit: Darius, der Perserkönig, ebenfalls männlich-prächtig bartgeschmückt, rückt an, siegessicheren tänzerischen Schritts, Der Tanz ist gemessen statuarisch. Die aus dem indischen Tanz entliehene Erzählgestik ist begrenzt, aber dienlich. Und alle Darsteller halten eine gewisse Spannung, auch im "indisch" stilisierten Gesichtsausdruck. Vor allem fügen sich exotisierte Körpersprache und mittelalterliche Musik zu einer geschlossenen Ganzen. Schalmeien, Flöten, Fideln, Portativ, Drehleier, Trommel, Ud und Santouri dürfen auch mal arabisierende Abstecher machen. Und zwischen den Akten bekommen wir die Geschichte auch auf Deutsch erzählt, gewürzt mit volkstümlicher Komödiantik und kleinen zeitkritischen Anmerkungen — bis Daniel von Habakuk aus der Löwengrube gerettet wird.

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MalveGradinger |
Münchner Merkur
 
 
Sehr Mittelalterlich
Das "Theater der Klänge", 1987 in Düsseldorf gegründet, bemüht sich im Rückgriff auf unterschiedliche Theaterformen um ein zeitgenössisches Musik- und Tanztheater; in früheren Stücken hat man sich zum Beispiel mit der barocken Maskenbühne oder der mechanischen Bauhausbühne beschäftigt. Die jetzt im Prinzregententheater gezeigte Inszenierung von "Ludus Danielis" ist ein alttestamentarisches Spektakel, das an die Tradition des mittelalterlichen Mysterienspiels anknüpft.
Der Text erzählt die Geschichte des jüdischen Propheten Daniel in der Löwengrube und basiert auf einer Handschrift von 1230; doch der von Michael Popp übersetzte Text wird nicht gesprochen, er wird in gregorlanischen Gesängen vorgetragen; das klingt sehr archaisch und entwickelt zunehmend einen mirakulösen Sog — zumal acht Musiker mittelalterliche Instrumente wie Portatiev,Schalmei, Flöten, Glocken, Oud und Drehleier bearbeiten und dabei ganz ungewohnte Klänge erzeugen.
Das Besondere an dieser Aufführung ist das kontemplative Zusammenwirken von Tönen und Tanz. Die minimalistischen Melodien und volksliedartigen Lieder werden von den bunt kostümierten Mitgliedern der Münchner "Estampie" -Companie in sehr anmutige Bewegungen übertragen; ihre streng ritualisierte Körpersprache orientiert sich, soweit erkennbar, an keinem klassischen Formenrepertoire. Weil die Geschichte aber am babylonischen Hof spielt, hat man sich unter anderem von indischen Tanzdramaformen wie dem Mudras inspirieren lassen.
Um den Stoff nicht nur bibeltreu und bierernst zu inszenieren, läßt Regisseur Jörg U. Lensing schließlich zwischen den einzelnen Akten den szenischen Ablauf von Komödianten in bester "Commedia dell’ Arte"-Manier kommentieren und parodieren. So entsteht am Ende nicht nur ein sehens- und hörenswertes, sondern auch ein lustiges und sinnliches Gesamtkunstwerk.

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Sven Siedenberg
Süddeutsche Zeitung
 
 
Mysterienspiel in Düsseldorf
Zweifellos ist der Bericht von dem weisen Harfenspieler Daniel am Hofe des babylonischen Königs Nebukadnezar und seines Sohnes Belsazar einer der dramatischsten des Alten Testaments, Französische Mönche des Klosters Beauvais bearbeiteten die Legende vom gläubigen Höfling, den sein Gott aus der Löwengrube rettet, um 1230 als Mysterienspiel mit Musik und führten es jahrelang am Neujahrstag in ihrer Kirche auf.
Der Münchner Musiker Michael Popp entdeckte das Original vor zwei Jahren und richtete es für seine Gruppe "Estampie" ein. In Zusammenarbeit mit dem "Theater der Klänge" erlebte es in der Düsseldorfer "Kreuzherrenkirche" nach 750 Jahren seine faszinierende szenische Wiedergeburt. In fünf Szenen geht das Drama über die Bühne: auf einem hölzernen Podest nach Art mittelalterlicher Wandertruppen. Der von Zarah Ritz-Rahman gemalte Rückprospekt erzählt den Hergang als Fresko in Einzelbildern wie ein Comic, und die stampfenden Tanzbewegungen der barfügigen Darsteller unterstreichen ihn wie Kastagnetten den spanischen Flamenco äußerst effektvoll.
Leier und Laute, Glocken, Glöckchen und Pauke, Flöte und Portativ begleiten die sprechenden pantomimischen Tanz-Gebärden der neun Darsteller in prachtvollen orientalischen Gewändern (entworfen von Caterina di Fiore). Zwischen den Szenen treten weltliche "Spielleute" auf, kommentieren und erklären das Geschehen auf lockere Art mit offensichtlich aktuellen Bezügen. Was sie sagen, verhallt allerdings weitgehend im Kirchenschiff. Ihre stereotypen, gewollt antiquierten, ausladenden Gesten ermüden und verlängern die Aufführung unangemessen, weil der erhobene Zeigefinger des lehrenden Pädagogen allzu deutlich winkt. Abgesehen davon kommt der ernsthafte Theaterliebhaber, der das Außergewöhnliche sucht, auf seine Kosten.

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Marieluise Jeitschko
Bonner Generalanzeiger
 
 
Mittelalterliches Gesamtkunstwerk
Im Rahmen des Kultursommers Nordhessen führte das Düsseldorfer "Theater der Klänge" am Samstag in Fritzlar und am Sonntag im Kloster Germerode am Meißner das mittelalterliche "Ludus Danielis" auf.
Etwa gleichalt sind der romanische Dom in Fritzlar und das in einer nordfranzösischen Handschrift aus dem 13, Jahrhundert überlieferte geistliche Schauspiel "Ludus Danielis" (Danielsspiel), Was lag also näher, als die Szenerie des Doms zum Schauplatz für das Mysterienspiel zu wählen, das die auf extravagante Theaterereignisse spezialisierte Künstlertruppe aus Düsseldorf ausgegraben und bearbeitet hatte?
Zum Inhalt hat das in lateinischer Sprache abgefaßte Schauspiel Szenen aus der Wundergeschichte vom Propheten Daniel, der die rätselhafte Schrift - das sprichwörtliche gewordene "Mene Tekel" - im Festsaal von König Belsazars Palast deuten konnte und eine Nacht in der Löwengrube des Königs Darius überlebte. Wahrlich ein guter Stoff für ein rechtes Spektakulum, das den Zuschauern zur Entstehungszeit mit durchaus unterhaltsamen Mitteln ganz beiläufig eine gute Portion Gottesfurcht nahebrachte.
Ein "Gesamtkunstwerk" entrollte sich für die Zuschauer vor der Architektur des ehrwürdigen Fritzlarer Gotteshauses; Sprechtheater, Pantomime, Ausdruckstanz und natürlich Musik. Schade jedoch, daß die vom Münchner Ensemble "Estampie" sehr eigenwillig gesungenen und gespielten Klänge vom Band kamen.
Sehr nahe am Text und gut nachvollziehbar gab sich die als Ausdruckstanz gestaltete Umsetzung durch die phantasievoll kostümierten Darsteller. Herausragend dabei der Darsteller des Daniel (Clemente Fernandez), dessen Tanz um die (nicht sichtbaren) Löwen zum Höhepunkt des Abends wurde. Nur vorm Schlagwerk begleitet waren Daniels Gesten und Bewegungen alle Regungen zwischen Entsetzen und Zuversicht mühelos abzulesen.
Zwischen den fünf Szenen war Volkes Stimme zu vernehmen: Personen aus der spätmittelalterlichen Entstehungszeit traten auf und deuteten das soeben Gesehene (was nicht nötig gewesen wäre, war die Darstellung doch durchweg einleuchtend und verstehbar) und fügten so ihre eigenen Gedanken an das Mysterium. Daß die Schrift an der Wand lediglich eine Spiegelung vom heiligen Gefäß der Juden war, das Belsazar bei seinem Gelage entweihte, oder daß Daniel nur deshalb zum Minister des Darius gemacht wurde, weil den König seine Schönheit reizte. Diese Einschübe, die natürlich nicht dem Original entstammen, boten zwar Gelegenheit zu strotzender Schauspielkunst nahmen jedoch dem Ganzen ein wenig vom Wundersamen. Ob man heutigen Zuschauern keine unkommentierte Wundergeschichte mehr zumuten mochte?

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Johannes Mundry
HNA
 
 
Amüsantes Mittelalterliches Mysterienspiel
Das war kein Tag für Freiluftvergnügungen, So fiel auch die ursprünglich als Open-Aur- Veranstaltung geplante szenische
Inszenierung des Oraterums »Ludus Daniels» im Rahmen der Residenzfestspiele buchstäblich ins Wasser. Starke Regenfälle vertrieben die Künstler aus dem Kollegienhof und zwangen zum Umzug ins nahegelegene Auditorium Maximum der Technischen Universität. Für den kompletten Bühnenaufbau blieb allerdings keine Zeit, so dass sich die Veranstalter zu einer Notlösung entschlossen Die "konzertante Aufführung" im gut besuchten Audi-Max war dem letztlich ein veritables Konzert des Ensembles Estampie- keine Unbekannten mehr dank des in den vergangenen Jahren gewachsenen Interesses an mittelalterlichen Klängen aus Düsseldorf. Die sollten das mittelalterliche Mysterienspiel mit Spiel und Tanz begleiten, nun blieb ihnen nur der Part des Pausenclowns zwischen den Akten.
Der in Latein vorgetragene Text des »Ludus Danielis<< geht auf eine Vorlage aus dem Jahr 1230 zurück, eine Nacherzählung, die sich auf den Bibeltext des Buches Daniel bezieht. Den Zuschauern in Darmstadt erläutern vier Schauspieler zwischen den Akten das Geschehen: "Was sie nicht sehen, aber hören werden..." Die sechs Instrumentalisten des Ensembles aus München illustrieren die Geschichte vorm Propheten Daniel mit einer Musik, die sich zwischen Orient und Okzident bewegt und liefern - in der szenischen Aufführung - den Schwung für die Tanzvorstellung. Sigrid Hausen und Tobias Schlierf, die den Text singen, werden unterstützt von einen reich instrumentierten Quartett . Das Arsenal der Gruppe reicht von der keltischen Harfe, die Uschi Laar zupft, bis zum San&#305;tur seinem großen Hackbrett aus Persien mit dem Sascha Getowtschikow die leisen Passagen untermalt. Eine Vielzahl vor, Instrumenten bedienen Michael Popp und Ernst Schwindl : Fidel und Flöte, Drohleier und Portativ, Oud und Trommel - die Klänge des Mittelalters sind hier vor allem, die der altüberlieferten Instrumente. Mit immer neuen Einfällen unterlegen sie die rezitierten Texte. Ob das nun authentisch ist - wer mag's beantworten. Dem Zuhörer bietet die Vielfalt jedenfalls mehr als der doch ein wenig eintönig vorgetragene Gesang. Vor allem die eindringlichen Rhythmen, die Sascha Gotowtschikow vorgibt, packen. Ausrufezeichen setzt er mit seiner überdimensionalen Trommel, die er im Stehen spielen kann. Mit vollem Armschwung und ohne Dämpfer haut er drauf os und das dumpfe Vibrieren dieses Rieseninstruments begleiten Popp und Schlier! mit blecherner Percussion – ein Memento mon, das buchstäblich in alle Glieder fährt.
Ernst und gemessen geben sich die Musiker - die Zwischenmoderation versucht, diesem Pathos die Schwere zu nehmen Besonders Kai Bettermann als Dottore weiß die Gunst des Umzugs mit einer gelungenen Improvisation zu nutzen. Auf der flugs emporgeschobenen Tafel im großen Hörsaal erklärt er dem amüsierten Publikum seine Theorien zur Entstehung des göttlichen Menetekels im Palast des Belsazar. Da können selbst die Musiker auf der Bühne ein Schmunzeln nicht unterdrücken - das Publikum honoriert die komödiantische Leistung mit spontanem Beifall.

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Gerd Döring
Main Echo
 
 
Wenig bekannte Klangwelten hergezaubert
Zu einem Theaterhochgenuß der besonderen Art Juden am vergangenen Wochenende das "Theater der Klänge" aus Düsseldorf und die aus München stammende Gruppe "Estampie" ins Landsberger Stadttheater ein. Aufführung fand das Mysterienspiel "Ludus Danielis".
Mysterienspiele haben eine lange Tradition und erlangten im Mittelalter eine große Beliebtheit beim Publikum. Das im Stadttheater in Szene gesetze " Ludus Danielis" findet so nach gut 750 Jahren wieder den Weg auf die Bühnen. Verwendung dabei fand die aus dem Kloster Beauvais in Frankreich stammende Originalfassung der alttestamentarischen Geschichte um Daniel in der Löwengrube. Erzählt wurde die Geschichte des Juden Daniel, der am Hofe von König Belsazar in Gefangenschaft lebt. Fünf Szenen schilderten die mystischen Begebenheiten, die sich im sechsten Jahrhundert vor Christi Geburt in Babylonien abspielten. Die Erscheinung des Menetekels. Seine Deutung durch Daniel. Der Sieg des Perserkönigs Darius über die Babylonier, Die Verschwörung der Höfischen gegen Daniel, der seinen Gott anbetet, obwohl Darius als gottgleiches Wesen verehrt wird, woraufhin Daniel den Löwen zum Fraß vorgeworfen wird. Seine Rettung durch einen Engel Gottes.
Die Darbietung des "Ludus Daniels" bewegte sich auf zwei Ebenen. Zum einen setzte das Theater der Klänge die biblischen Geschehnisse mimisch und gestisch in Szene und zum anderen ergänzte die Gruppe "Estampie" die Handlung auf der Bühne mit Original-Gesangspassagen, die an gregorianische Gesänge erinnerten,
Das "Theater der Klänge" bot in ihren prächtigen Kostümen und den expressiven Schminkmasken einen imposanten Anblick in diesem "Spektaculum miraculi", Gerade die Masken verstärkten hier noch den Eindruck, den das Tanzensemble in seiner mimisch-tänzerischen Darbietung darbot. Wo dem gesamten Ensemble für ihr mimisches und gestisches Spiel ein großes Lob auszusprechen ist, muß Clemente Fernandez (Daniel) namentlich erwähnt werden. Er überzeugt mit seinem Können auch den letzten Besucher des Stadttheaters.
Das Münchener Musik- und Vokalensemble "Estampie", die das nonverbale Spiel auf der Bühne mit ihren Gesängen untermalte, musizierte auf alten Instrumenten. Ungewohnte Töne fanden dabei den Weg in die Ohren des Publikums. Ud, Schalmei, Organistrum und Portativ zauberten wenig bekannte Klangwelten in des Stadttheater. Bei den Gesangspassagen, die ingesamt hervorragend besetzt waren, muß Tobias Schlierf, der auch den männlichen Alt sang, besondere Erwähnung finden, dessen stimmliches Können überzeugenden Einsatz fand.
Zwischen den einzelnen Spielszenen fanden sich auf der Bühne einzelne Spielleute ein, die den Ablauf der Handlung auf durchaus weltliche Weise zu dokumentieren. Die Handlung fand in ihren Worten eine Parodie ("Man muß die Bibel nur genau lesen und schon hat man sein Drama zusammen,") oder wurde da und dort sogar in Frage gestellt. Sie deutschten die in lateinischer Sprache vorgetragenen Vokalpartien mit theatralischer Komik und großen Wortgeschick für das Publikum mit spielerischer Leichtigkeit ein.
Nach gut 90 Minuten war es auch genau diese spielerische Leichtigkeit. verbunden mit der mimischen Sicherheit der Schauspieler und dem musikalischen Können des Musik- und Gesangensembles, die den Beifall der Besucher n&#305;cht enden lassen wallte, Minutenlanger Applaus honorierte ein Tanztheatererlebnis der besonderen Güteklasse.

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Peter Kassubek
LT
 
 
Karthak-Tanz Gregorianik
Ein ungewöhnliches Spektakel sollte es werden, was das "Theater der Klänge" mit dem Musik-Ensemble "Estampie" unter der Leitung von Michael Popp in der ausverkauften Kreuzherrenkirche darbot. Zu gregorianischen Gesängen und dumpfen Trommelschlägen betraten Schauspieler in aufwendigen Kostümen den hellerleuchteten Altarraum und erzählten pantomimisch und tänzerisch ein mittelalterliches Mysterienspiel.
Der "Ludus Danielis" ist die biblische Geschichte des jüdischen Gelehrten Daniel, der am Hofe Belsazars eine rätselhafte Schrift entziffern soll. Diese prophezeit nicht nur den baldigen Tod des Königs, sondern auch den Untergang und die Teilung des Reichs. Bald darauf überfällt der Perserkönig Darius den Hof Babyloniens. Belsazar wird getötet und Darius wird neuer König. Auf Empfehlung der babylonischen Gelehrten bestimmt er Daniel zum engsten Berater und Statthalter, Darius erläßt ein Gesetz, demzufolge er nur als Gott verehrt werden soll. Neider und Intriganten beobachten, wie Daniel seinen jüdischen Gott anbetet, und verraten ihn.
Der König läßt Daniel in die Löwengrube werfen, aus der er sich durch seine Gebete befreien kann. Darius erkennt die Verräter als die wahren Schuldigen und wirft sie den Löwen zum Fraß vor. Der König gebietet, daß von nun an der Gott Daniels verehrt werden soll.
Das "Theater der Klänge" zeigte eine Version dieser biblischen Geschichte, die auf einer Handschrift aus dem Jahr 1230 basiert und vermutlich von Studenten des Klosters Beauvais in Nordfrankreich aufgeführt wurde. Die Inszenierung Jürg Lensings wandelte das Mysterienspiel in ein Kirchenraumspiel, das den gesungenen Text in tänzerisch-schauspielerische Form übersetzt.
So kommentieren die Akteure das musikalische Geschehen pantomimisch, da rollt der rotgewandete Belsazar mit den Augen und führt wilde Sprünge auf, da ihm das Menetekel entziffert wird; da zeigt die Königin einen verführerischen Schleiertanz, und Daniel reißt hilfesuchend die Arme hoch, da er zum Tode in der Löwengrube verurteilt wird. Die thematische Nähe zum Orient inspirierte das Ensemble zu indischen Tanzeinlagen. Barfuß und mit puppenhaften Armbewegungen zeigen die Darsteller den traditionellen indischen Kathak-Tanz.
Die Musiker des auf mittelalterliche Musik spezialisierten Ensembles "Estampie" sitzen in weißen Kostümen im Seitenschiff der Kirche und spielen alte abendländische und orientalische Instrumente, Gleichzeitig verleiht jeder Gamben- oder Harfenspieler einem Schauspieler seine Stimme. Daniel wird ein schlanker Altus zugeteilt, Belsazar ein volltönender Baß und der Königin ein schnörkelIoser Sopran.
Zwischen den Akten treten Spielleute auf, die das Geschehen kommentieren oder parodieren. Ein Marktschreier erläutert die Bilderfolge des Danielfreskos, das als einzige Kulisse dient; ein Doktor der sieben freien Künste will an das Wunder des Menetekels nicht glauben, sondern versucht, es physikalisch zu erklären.
Es seien, glaubt er, die Lichtreflexionen auf dem Trinkbecher des Königs, die wie eine Schrift an der Wand aussähen; es gebe überhaupt keine magische Schrift; aber das hätten die unaufgeklärten Menschen des Altertums nicht gewußt.
Eine Hure deutet die Schrift als Auffoderung zum Liebesakt, und ein Mann aus dem Volke vermutet, der König habe Daniel zum Berater gekürt — in der Hoffnung, dieser sei noch "Jungmann".
Die ironisch-witzigen Kommentare der Komödianten litten unter der hallenden Akustik des Kirchenraums. Auf den hinteren Plätzen konnten die Zuschauer nichts verstehen. Das führte der Aufführung. Einige Kürzungen und Straffungen hätten dem Stück auch nicht geschadet: Fast zwei Stunden Gregorianik und Tanz können auch den Geduldigsten ermatten, Dennoch gab es großen Beifall für ein ungewöhnliches Musiktheater.

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Isabelle Tümena
RP
 
 
Vom Mittelalter in die Pop Zeit
"Da kam´s hevor wie Menschenhand; und schrieb und schrieb an weißer Wand Buchstaben von Feuer, und schrieb und verschwand". Die Daniels-Geschichte mit Mene-Tekel-Upharsin und Löwengrube hat nicht nur Heine fasziniert - schon im 12. Jahrhundert haben Studenten in Beauvais daraus ein Stück Oper gemacht, das der Hit unter den mittelalterlichen geistlichen Spielen ist und noch heute immer wieder aufgeführt wird. Jetzt wurde dieses "Ludus Danielis" vom Münchner Ensemble für alte Musik/Estampie zusammen mit dem Düsseldorfer Theater der Klänge im Prinzregententheater aufgeführt.
Eine improvisierte Kastenbühne mit einer Rückwand, auf die die Geschichte wie auf eine Bänkelsängertafel gemalt ist. Daneben die Musiker mit jeder Menge Schlagwerk, Ud, Handorgel, Schalmeien, Drehleiern. Während die Schauspieler mit deutlichen Gesten und in altassyrisch-grellen Kostümen Pantomime betreiben, werden die Texte vom Bühnenrand her eingesungen: Eine Aufführung, die das Stück vom Mittelalter in die Pop-Zeit beamt.
Denn genauso überdeutlich wie das Spiel ist die Musik: Es gibt ja in den Quellen nur eine nicht rhythmisierte Melodiestimme‘' — sonst nichts. Vor jeder Aufführung muß man also Rhythmen erfinden, Tempi, Begleitungen. Michael Popp hat das hier getan, und er hat sich an Arvo Pärt und den Minimalisten orientiert (Diese Musik gibt's auch eingespielt auf CD, Christophorus/Helikon 77144).
Alles in allem eine Deutung, die rhythmisch zu gleichförmig ist, mit zuviel gebimmelten und geklopftem Beiwerk, leicht esoterisch. Und wohl gerade des-halb von einer begeisterten Fangemeinde gefeiert wird - auch wenn keine der Stimmen wirklich verführerischen Reiz besitzt, sich die Inszenierung in ihren Mitteln bereits nach fünf Minuten völlig verausgabt hat und der Geschichte eigentlich nicht nahe kommt.

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Reinhard j. Brembeck
TZ
 
 
Daniel für Kopf und Bauch
"Schließet die Herzen auf für unser "Ludus Danielis", rief der mittelalterliche Spielmann den in ehrfürchtiger Erwartung ausharrenden Zuschauern zu. Im Klosterhof zu Germerode wurde am Sonntag Abend die "merkwürdige" Geschichte des Propheten Daniel in Szene gesetzt. Vor der Ruine des Klosterschlaftraktes brachten neun Schauspieler des "Theater der Klänge" aus Düsseldorf ein farbenprächtiges Masken-Mysterienspiel unter der Regie von Jörg Lensing auf die Bühne, daß vor allem durch die prächtigen Gewänder und einer gut arrangierten Musik der Münchner Gruppe "Estampie" die Herzen der Zuschauer öffnete.
Die überlieferte einstimmige Melodielinie aus dem 13. Jahrhundert hatte Michael Popp von Estampie so gesetzt, die Musik, obwohl sie nur aus der Konserve kam, eine tragende Funktion hatte. Besonders die Spring- und Schreittänze, sowie die dramatisch gut in das Spiel eingeflochtenen arabischen Rhythmen überzeugten durch ihre Frische.
Die lateinisch gesungenen Texte aus dem Jahr 1230 übersetzten die Düsseldorfer Akteure in tänzerisch-schauspielerischer Form.
Leise, ohne große Showeffekte und mit einer auf das wesentlichste reduzierten Choreografie verstanden es die Spieler, den unaufhaltsamen Aufstieg des Sklaven Daniel zum Berater am Hof von Babylon nachzuzeichnen. Dabei überzeugte wohl am meisten der Schauspieler Clemente Fernandez als Daniel, Seine ausdrucksstarke und feine Art, fesselte und trieb das fünfaktige Stück voran. Aber nicht nur er verzauberte : Auch die Könige, Berater, Hofdamen und Bauchtänzerinnen entführten die Zuschauer in ein Traumland.
Die jedem (Tanz- und Musik-) Akt zugehörigen Spielleute kommentierten und parodierten auf ihrer weltlichen Weise das Spiel.
Da gab es viel zu Lachen, die Gegenwartsbezüge machten nachdenklich und der spielerische Vortrag der Texte war überaus überzeugend. Trotzdem war es schade, daß dadurch der Zauber in seiner Gesamtheit immer wieder gebrochen wurde, der Zuschauer zwischen Herz- und Kopfrezeption hin- und herspringen mußte.
Gelohnt hat sich der Ausflug zu dem schönen Ambiente in Germerode allemal. Als Spielstätte eignet sich das Terrain sehr gut. Hätte man den Zuschauerraum aber halbrund angeordnet, wäre die Stimmung vor den alten Gemäuern dichter gewesen, mehr Zuschauer hätten Platz gefunden und die ohnehin gute Atmosphäre hätte einen krönenden i-Punkt bekommen.

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Michael Seitz
WZ
 
 
Mittelalterliches Spiel im alten Kloster
Für das Gastspiel des Düsseldorfer Theater der Klänge im Rahmen des Nordhessischen Kultursommers hätten sich die Initiatoren in der hiesigen Region wohl keinen besseren Schauplatz als das Kloster Germerode aussuchen können. Die Handlung auf der kleinen Freiluftbühne des mittelalterlichen Mysterienspiels "Ludus Danielis" um das Schicksal des Propheten Daniels und die altehrwürdigen Gemäuer des Klosters, eine authentische Kulisse, verschmolzen zu einer Einheit, die die zahlreichen Zuschauer in die Welt der damaligen Zeit versetzten.Das in lateinischer Schrift abgefaßte geistliche Schauspiel, ein erster Versuch in der Musikgeschichte seit der Antike, Musik und Handlung zu einer Einheit werden zu lassen, bot den Anwesenden eine gelungene Mischung aus pantomimischer und tänzerischer Darstellungskunst, gepaart mit einer gehörigen Portion Humor. Gerade die zwischen den einzelnen Akten, in der Originalfassung noch nicht erscheinenden kommentierenden Auftritte von Figuren aus der spätmittelalterlichen Zeit, die mit ihren humorvollen, teilweise völlig aberwitzigen Thesen zu dem zuvor geschehen Stellung nahmen und dabei dem Publikum die Zeichensprache der Darstellenden näherbrachten, trugen viel zum Verständnis des Inhaltes bei.
Denn zu Beginn des Schauspiels waren die ausdrucksstarken, jedoch des öfteren ungewohnten Gestiken der Akteure nur schwer nachvollziehbar, wirkte anfangs weniger die Handlung als Musik und die farbenprächtigen Kostüme, Doch mit zunehmender Dauer zog der der Bibel entnommene Stoff die Anwesenden mehr und mehr in seinen Bann. Die Geschehnisse am Hofe des babylonischen Königs Belsazar, dem Daniel seinen baldigen Tod anhand des Mene Tekels prophezeit, Daniels Dienst unter dem neuen Herrscher Darius, der in einer Verschwörung gegen den Juden endet und der daraufhin unschuldig in der Löwengrube landet. Doch im letzten Akt erlangt Daniel, übrigens hervorragend von Clemente Fernandez verkörpert, seine Rehabilitation, und der König übernimmt den jüdischen Glauben als Staatsreligion.
Auch wenn als Wermutstropfen die Tatsache bleibt, daß die Musik, überwiegend gregorianische Gesänge, vom Band kam, war es doch alles in allem eine rundum gelungene Veranstaltung, die die Zuschauer mit einem Gefühl nach Hause ließ, Teil einer echten mittelalterlichen Aufführung gewesen zu sein.

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Matthias Schäfer
WR
 
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