Das Schöne an der Kultur ist, dass man oft mit Themen konfrontiert wird, für die man sich nie wirklich interessiert hat. An diesem Abend lädt das Theater der Klänge aus Düsseldorf in das Bochumer Planetarium ein. Planetarium — das könnte ein anderes Wort für Sternwarte sein. Also ein Ort, an dem man den aktuellen Himmel bobachtet. Mitnichten. Ein Planetarium ist so etwas wie ein Himmelskino. Die Spielarten von Planetarien sind vielfältig, deshalb soll hier von den Projektions-Planetarien die Rede sein. Das erste seiner Art wurde 1926 in Wuppertal-Barmen in Betrieb genommen. Am Prinzip hat sich bis heute nicht viel geändert. In einem kuppelförmigen Bau werden mit einem "Sternenwerfer" Himmelsbilder in die Kuppel projiziert. Dank ständiger Erneuerung steht heute eines der modernsten Planetarien in Bochum. 1964 eröffnet, verfügt es über Sitze, auf die manches Kino neidisch sein darf, und vor allem über den Sternenprojektor Modell IX "Universarium" der Firma Zeiss, bis heute das Beste, was es auf dem Markt gibt. Elf Beamer und 64, einzeln ansteuerbare Lautsprecher sind zusätzlich verbaut. Ein Traum für Jörg Udo Lensing, den Künstlerischen Leiter des Theaters der Klänge aus Düsseldorf. Hier kann er endlich verwirklichen, was in den 1920-er Jahren in Weimar und Dessau begann. Andor Weininger hat in dieser Zeit am Bauhaus ein Kugeltheater skizziert. Gleichzeitig entwickelten die Künstler am Bauhaus Utopien für ein neues Theater. "Nie gesehene technische Aufbauten, rotierende Bühnen oder zahlreiche filmische Projektionen und Lautsprecherbeschallungen sollten ein Totaltheater ermöglichen, wie es die Welt zuvor noch nie gesehen hatte", erzählt Lensing. Jetzt sieht er die Zeit gekommen, über diese Visionen zu berichten. In Form des Tanztheaterstücks Mensch und Kunstfigur im Kugeltheater. Zu diesem Zweck ist im Planetarium eine eigene Bühne aufgebaut worden, die einen Rundlauf um den Sternenwerfer und eine Plattform dahinter bietet. Hier gibt es nicht Dutzende von Scheinwerfern an Traversen, sondern kaum zu bemerkende Lichter, die in den Wänden integriert sind und von Markus Schramma gekonnt gesteuert werden. Juliette Adrover, Sophia Otto, Christian Paul und Etienne Sarti betreten die Bühne. Sie werden den tänzerischen Teil des Abends in ständig wechselnden Kostümen von Caterina Di Fiore übernehmen, während über ihnen in der Kuppel eindrucksvolle Projektionen entstehen, die Yoann Trellu entwickelt hat. Hier finden sich die Skizzen Weiningers genauso wieder wie die Visionen eines Oskar Schlemmer, der für seinen Unterricht am Bauhaus eine neue und umfassende Sichtweise auf den Menschen entwarf. Direkte Korrelationen zwischen den Tanzbewegungen und den Projektionen entstehen. Für die Choreografie ist Jacqueline Fischer verantwortlich. Sie konzentriert sich auf eine markante, auf wenige Figuren beschränkte Bewegungssprache, die sich unter verschiedenen Konstellationen wiederholt. Die Tänzer erledigen das mit Leichtigkeit, wenn sich auch hier und da Ungenauigkeiten einschleichen. Aber immer gelingt es ihnen, mehr Aufmerksamkeit zu erlangen als die Projektionen. Wenn der Mensch wichtiger ist als die Kunstfigur, ist das sicher ein gutes Zeichen. Zwischendurch erklingen Textfragmente, die möglicherweise Schlemmer zuzuordnen sind und die Grundfragen zum Theater stellen. Eindrucksvoll. Lensing, der hier auch Regie führt, gelingt es damit, Grundlagenarbeit zu leisten. Fragen und Aussagen über das Theater an sich zu stellen und zu treffen. Nach diesem Stück möchte man gerne ein Werk sehen, das die Visionen umsetzt. Das muss natürlich an diesem Abend ausbleiben. Aber es macht Lust darauf. Dazu trägt insbesondere auch die Komposition der Klanglandschaft von Thomas Neuhaus bei. Er nutzt die Möglichkeit, seine Klänge auf die Vielzahl der Lautsprecher zu verteilen, dafür zu sorgen, dass sich Töne annähern und entfernen. Die Faszination über dieses akustische Erlebnis überwiegt lange Zeit, ehe sich der Raum insgesamt mit Musik füllt und in ein Gleichgewicht mit Tanz und Projektion gerät.Es gibt großartige und eindrucksvolle Momente an diesem Abend, der an eine Zeit erinnert, in der über Theater im Grundsätzlichen nachgedacht und nicht von Ideologien überschattet wurde. Dem Publikum, das an diesem Abend viele Plätze freilässt, gibt das Raum für langanhaltenden Applaus. Zu hoffen ist, dass sich das Bochumer Planetarium zu einer weiteren Aufführungsserie entschließt und zum Beispiel die so genannte Freie Szene die fantastischen technischen Möglichkeiten des Planetariums entdeckt. |