Kontraste
 
Einsam in der Masse
Seit 1987 bereichert das Theater der Klänge Jahr für Jahr mit ambitionierten Produktionen die Düsseldorfer Theaterszene um kleine, aber feine innovative Akzente. Im letzten Jahr stieß man mit einer Revitalisierung von Oskar Schlemmers Triadischem Ballett auf überregionales Interesse und jetzt feierte Jacqueline Fischers zweite abendfüllende Choreografie im Forum Freies Theater ihre Uraufführung.
Kontraste nennt die griechisch-stämmige Folkwang-Absolventin ihre 75-minütige Arbeit. Ihre Verbundenheit mit dem Tanztheater Pina Bauschs ist nicht zu verleugnen. Die Grenzen zwischen Musik-, Tanz- und Sprechtheater lösen sich auf. Es agieren eine Sängerin und fünf Tänzer aus insgesamt sechs Ländern, darunter eine an Multipler Sklerose erkrankte Amerikanerin, die sich tänzerisch einbringt, auch wenn sie mehrfach, ein wenig hintergründig mit ihrer Krankheit kokettierend, im Rollstuhl auftritt. Sie alle suchen "Kontakt", wobei das episodenhaft zersplitterte Stück Annäherungs- und Integrationsversuche reflektiert, die spielerisch-improvisatorisch geprägt sind. Auch wenn sich alle dem anonymen und gleichgebürsteten Großstadttreiben, das durch neutrale Kostüme und Verkehrslärm angedeutet wird, äußerlich anpassen, können sie ihre unterschiedliche Herkunft nicht abstreifen. Zum Glück, wie Videoeinspielungen und einige Traumsequenzen zeigen. Darin erscheinen die aus Deutschland, Chile, Griechenland, Japan, dem Kongo und den USA stammenden Akteure in Landestrachten, teilweise zu mythischen Skulpturen stilisiert. Dabei scheut sich Fischer auch nicht, mit Klischees zu spielen. Amerika wiegt sich im Yankee-Doodle-Taumel, und der Afrikaner verbirgt nicht seine körperlich-sinnliche Präsenz.
Auch wenn die kulturellen Unterschiede im Alltag der Leistungsgesellschaft nivelliert werden, kommt es nicht zu einer wirklichen Auflösung der Barrieren. Man passt sich mehr oder weniger erfolgreich den Zwängen des Business-Sogs an, näher kommen sich die Menschen nicht. Es bleibt ein schaler Geschmack von Einsamkeit in der Masse. Dabei bewegen und präsentieren sich die Tänzer entsprechend individuell, so dass sich der Eindruck eines geschlossenen und zusammengewachsenen Ensembles nicht einstellen kann und auch gar nicht einstellen soll. Die musikalische, von J.U. Lensing zusammengemischte Klangkulisse wird vor allem von rhythmisch pulsierenden, elektronischen Geräuschimpulsen mit starken Assoziationen an Großstadtlärm geprägt. Einzelne folkloristische Einstreuungen, darunter eine aufgedreht heitere Version des Yankee Doodle, wirken in diesem Umfeld regelrecht exotisch. Wie auch der Kontrast der "Videoszenografien" von Oliver Eltinger mit ihren Erinnerungen an die Herkunft der vorzüglichen Tänzer. Die Sopranistin Barbara Schachtner bereichert das spartenübergreifende Projekt mit Vertonungen treffsicherer Statements zur Bedrohung der Individualität von Rousseau bis Nietzsche. Darunter auch Kierkegaards Schlüsselsatz: "Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit". Sätze, die freilich angesichts der sehr hoch angesetzten Gesänge nur im Programmheft oder auf eingeblendeten Projektionen verständlich werden.
Das Publikum reagiert mit langanhaltendem Beifall auf eine rundum anregende und durchaus innovative Leistung des Theaters der Klänge, das auch mit dieser Produktion auf Reisen gehen wird.

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Pedro Obiera
www.opernnetz.de
 
 
Zwischen Freiheit und Abhängigkeit
Freiheit heißt auch, sich seine Abhängigkeiten selbst wählen zu dürfen", befindet der österreichische Dichter Ernst Ferstl. Zitate wie dieses und zeitlose Lebensweisheiten durchziehen die neue Produktion des Düsseldorfer Theater der Klänge wie ein roter Faden. Projiziert auf die Rückwand aus fünf schlichten Stoff-Elementen für Auftritte und Abgänge, stützen sie die kleinen Szenen und Soli der Choreografie Kontraste von Jacqueline Fischer, der langjährigen Tänzerin der freien Gruppe. Nicht nur verschiedenste Nationen, sondern auch Künstler unterschiedlicher Genres treffen dabei zusammen. Die Sopranistin Barbara Schachtner - erst im Dirndl stimmlos, dann im langen Schwarzen kultiviert singend - trägt Vers für Vers das Gedicht "Alles ist eitel" von Andreas Gryphius vor in der Vertonung von J. U. Lensing, dem Komponisten des Abends und Künstlerischen Leiter des Theaters. Puzzleteile aus grüner Plastikfolie fügt die recht streng wirkende, hochgewachsene Deutsche an einander, schiebt sie hier- und dorthin. Aber das Bild will nicht gelingen. Immerhin bilden schließlich sechs Segmente den Erdkreis.
Großstadt- und Alltagslärm kontrastieren mit Vogelzwitschern. In charakteristischer heimischer Tracht oder Aufmachung gewähren die Tänzerinnen und Tänzer Einblicke in die Folklore ihrer Heimat: die gebürtige Chilenin Camila Scholtbach, die in Griechenland aufgewachsene Phaedra Pisimisi, der Japaner Yuta Hamaguchi und der Irrwisch-fixe Kongolese Arnoud Samba Nkassa. Die temperamentvolle amerikanische Schauspielerin Ilya Parteneau stürmt als Cowgirl auf die Bühne - stellt dann aber eine junge Frau dar, die an fortschreitender Multiple Sklerose leidet und sich nach und nach mit immer weniger Bewegungsfreiheit abfindet - in heroischer Weise, bis hin zum Rollstuhlduett mit Phaedra Pisimisi.
Es geht um die heute so viel beschworenen Kontraste in Einzelschicksalen, allen Lebensbereichen und zwischen den Kulturen, aber auch um die für manche unerfüllbaren Anforderungen in unserer Gesellschaft. Kontraste ist eine aufwändige Produktion. So unterhaltsam einige Szene überkommen, der kurze Abend leidet dennoch insgesamt unter allzu vielen Klischees und manchem Leerlauf.

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Marieluise Jeitschko
theaterpur.net
 
 
Ein Cowgirl versucht sich tänzerisch im rheinischen Karneval
Früher war alles einfacher, zumindest scheint es manchmal so. Heute vollzieht sich der gesellschaftliche Wandel immer komplizierter, immer schneller. Das Theater der Klänge reagiert in seinen Stücken stets auf soziale Änderungen; seit 1987 widmet sich die Truppe unter der Leitung von J. U. Lensing dem Zusammenspiel von Tanz, Video und Musik. Die neue Reaktion: "Kontraste", das jetzt vor vollem Haus Premiere im FFT Juta feierte. Lensing selbst zeichnet für die Musik verantwortlich, eine betörende Collage aus Elektronik, Percussion und Alltagsgeräuschen. Die Choreographie hat Jacqueline Fischer übernommen, deren "Ich ist ein anderer" 2008 mit großem Erfolg gezeigt wurde. Nun also die "Kontraste" des ehemaligen Ensemble-Mitglieds und der Pina-Bausch-Schülerin. Was gibt's zu sehen? Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Die Kontraste, die sie meint, bestehen erst einmal zwischen den Menschen - verschiedene Hautfarben, verschiedene Kostüme. Ein amerikanisches Cowgirl gibt die rheinische Frohnatur, eine Ausländerin, die Düsseldorf und den Karneval liebt. Es geht ihr gut, zumindest am Anfang. Aber hinter all dem "Yankee Doodle Dandy"-Getue verbirgt sich das Schicksal einer Krankheit, in ihrem Fall die Multiple Sklerose. Immer wieder wird sie auftauchen, auf Krücken, im Rollstuhl. Ob das mit dem Leistungsdruck der Globalisierung zu tun hat, sei einmal dahingestellt.
Auf jeden Fall ist es eine Stimme aus der Menge, wie das ganze Ensemble eine Mischung aus Schicksalen, Stimmen und Kostümen ist. Da tanzt der Kongolese mit dem Japaner, alles geschieht gleichzeitig. Eine Sängerin mit klassischem Lied hält alles zusammen, ist zugleich auch Warnung. Auf den Videoleinwänden ziehen Wolken herauf, dort sind auch programmatische Zitate zu sehen, deren Bedeutung nicht immer ganz klar ist. "Fast überall wo es Glück gibt, gibt es Freude am Unsinn", heißt es dort vom Zitatgeber Nietzsche.
Am meisten überzeugt "Kontraste" dort, wo es die Schwierigkeiten des Einzelnen in der modernen Welt zeigt. Sirenen und Straßengeräusche dringen durch die Idylle der Natur, nach der sich der Stadtmensch sehnt und die er doch nicht mehr erreichen kann. Hier vermischen sich auch Traditionelles und Zeitgenössisches in der Tanzsprache, werden die Trommeln zu einem Soundtrack, zu dem die Bewegungen der Tänzer wie Gegenwehr scheinen. Am Ende haben die bunten Kostüme ausgedient, funktionale Klamotten haben sich zur schwarzen Trauerkleidung gewandelt. So werden die Kontraste zum Requiem. Großer Beifall.

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Thomas Hag
www.rp-online.de
 
 
IM KALEIDOSKOP DER WELTKULTUREN
Jean-Jacques Rousseau sah die Welt schon Mitte des 18. Jahrhunderts so ähnlich wie wir sie heute erleben: "Alle Hauptstädte sind einander gleich; alle Völker vermischen sich dort", beobachtete der Schweizer Philosoph. Zitate wie dieses und zeitlose Lebensweisheiten durchziehen die neue Produktion des Düsseldorfer Theater der Klänge wie ein roter Faden. Projiziert auf die Rückwand aus fünf schlichten Stoffelementen für Auftritte und Abgänge, stützen sie die kleinen Szenen und Soli der Choreografie von Jacqueline Fischer, der langjährigen Tänzerin der freien Gruppe. Nicht nur verschiedene Nationen, sondern auch Künstler unterschiedlicher Genres treffen dabei zusammen. Die Sopranistin Barbara Schachtner trägt Vers für Vers - zunächst im Dirndl nach anfänglicher Stimmblockade, später im langen Schwarzen als Konzertsängerin - das Gedicht "Alles ist eitel" von Andreas Gryphius in der Vertonung von J. U. Lensing vor, dem Komponisten des Abends und Künstlerischen Leiter des Theaters. Puzzleteile aus grüner Plastikfolie fügt die recht streng wirkende, hochgewachsene Deutsche aneinander, schiebt sie hier- und dorthin. Aber das Bild will nicht gelingen. Immerhin bilden schließlich sechs Segmente den Erdkreis.

Großstadt- und Alltagslärm kontrastieren mit Vogelzwitschern. In charakteristischer heimischer Tracht oder Aufmachung gewähren die Tänzerinnen und Tänzer Einblicke in die Folklore ihrer Heimat: die gebürtige Chilenin Camila Scholtbach, die in Griechenland aufgewachsene Phaedra Pisimisi, der Japaner Yuta Hamaguchi und der Irrwisch-fixe Kongolese Arnoud Samba Nkassa. Die temperamentvolle amerikanische Schauspielerin Ilya Parteneau stürmt als Cowgirl auf die Bühne - stellt dann aber eine junge Frau dar, die an schnell fortschreitender Multiple Sklerose leidet und sich nach und nach mit immer weniger Bewegungsfreiheit abfindet - in heroischer Weise, bis hin zum Rollstuhlduett mit Phaedra Pisimisi.

Es geht um die heute so viel beschworenen Kontraste von Einzelschicksalen, in allen Lebensbereichen und zwischen den Kulturen, aber auch um die für manche unerfüllbaren Anforderungen in unserer Gesellschaft. "Kontraste" ist wieder, wie stets beim Theater der Klänge, eine aufwändige Produktion. So unterhaltsam einige Szenen sind, der kurze Abend leidet dennoch unter allzu vielen Klischees und manchem Leerlauf. Der aktuelle Bezug zum Flüchtlingsdrama wirkt harmlos plump.

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Marieluise Jeitschko
tanznetz.de
 
 
Totaltheater über die Freiheit
Zwänge und Begrenzungen dominieren die gesellschaftlichen Diskussionen. Freiheit scheint eine ferne Utopie zu sein. Die Choreographin Jacqueline Fischer hat nun über das Thema "Frei-Sein" in Leistungsgesellschaften ein Stück mit Performern aus Deutschland, Griechenland, den USA, Chile, Japan und der Republik Kongo erarbeitet. "Kontraste" heißt die neue Produktion des Theaters der Klänge in Düsseldorf.

Dieses Ensemble bringt seit vielen Jahren in immer neuen Kombinationen alle Kunstformen zusammen. "Kontraste" ist ein Musik- und Tanztheater mit Schauspiel, Videokunst und elektronischer Musik. Jaqueline Fischer will die Fähigkeiten von Menschen erkunden, unabhängig von Herkunft, Alter, Krankheit oder Bildung.

Stefan Keim berichtet von der Premiere.
www.wdr3.de
 
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